[Literaturnotizen] „Verbundensein“ von Kae Tempest

Was sind Literaturnotizen?

Literaturnotizen sind die Passagen eines Buches, die ich am wichtigsten fand. Es sind die Gedanken der Autorin oder des Autors, nicht meine eigenen, allerdings in meinen eigenen Worten wiedergegeben. Es kann sein, dass sie nicht immer verständlich sind – aber in der Summe vielleicht doch nützlich. Ich wollte sie einfach teilen, da ich sie eh habe. Ich prüfe die Literaturnotizen nicht auf Rechtschreibung, Sinnhaftigkeit, political correctness oder alles andere, was dich stören könnte. Nimm sie, wie sie sind, und mach was draus.

Autorin: Kae Tempest
Titel: Verbundensein

Worum geht`s? (Klappentext)

Kae Tempests erster großer Essay ist zugleich intimes Selbstporträt, hellsichtige Zeitdiagnose und mitreißendes Plädoyer für mehr Selbstsorge, Empathie und Gemeinsinn. Verletzlich und unverstellt erzählt das literarische und musikalische Ausnahmetalent von Ängsten, Rauschzuständen und dem zerstörerischen Wunsch nach Anerkennung – und fragt nach nicht weniger als dem richtigen Leben: Wie erkenne ich meinen Selbstwert in einer Welt, die vor allem auf Gewinn aus ist? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die nicht von Leistung und Selbstoptimierung, sondern von Nähe und Miteinander geprägt ist? Wie lässt sich Apathie in Hingabe und Neugier verwandeln? Antworten findet Kae Tempest in einer Politik des Mitgefühls und der schöpferischen Kraft: Wo Einsamkeit und Isolation um sich greifen, können Kunst und Kultur auf besondere Weise gemeinschaftsstiftend wirken und inniges Verbundensein spürbar machen – Verbundensein mit uns selbst, unseren Nächsten und dem gesellschaftlichen Umfeld.

Meine Literaturnotizen

Kreativität erzeugt Verbindung zwischen Menschen. Menschen sind unterschiedlich, aus historischen, sozialen und politischen Gründen. Aber hinter unseren kulturellen Hintergründen gibt es Gemeinsamkeiten, und zu diesen können wir über Kreativität Zugang erlangen. Mit dieser Verbindung zu unserem wahren Selbst übernehmen wir Verantwortung für unseren Einfluss auf andere Menschen, anstatt blind durch die Tage zu wandeln und uns nur mit unserem Überleben und dem unserer Kinder zu beschäftigen.

Wenn wir uns im Spiegel oder einer Fensterscheibe betrachten, sehen wir uns immer nur im besten Licht, da wir uns vorher darauf vorbereitet haben, uns zu betrachten. Uns wirklich und wahrhaftig zu sehen, ist schwieriger. Wie bringen wir unsere Werte und Einstellungen mit unseren echtem Handeln zusammen? Wir wollen uns als die Guten sehen, aber wie oft handeln wir entgegen unseren Werten?

Betäubtheit oder Unverbundenheit ist ein Mangel an echtem Gefühl. Oberflächlich interagieren wir mit dem, was gerade los ist, aber sind eigentlich ganz woanders. Wir sind mit dem täglichen Kleinkram so beschäftigt, dass wir das, was wirklich los ist, entweder übersehen oder als lebensbedrohlich wahrnehmen.

Betäubtheit ist die logische Konsequenz unserer Zeit. Um mit dem Ansturm an Eindrücken klarzukommen, müssen wir uns betäuben. Immer alles geregelt bekommen, immer weiterackern, in einem permanenten Zustand der Entfremdung. „Binge watch. Binge drink. Binge eat.“

Ihre Kreativität war die Konstante, die mit ihr (auf-)gewachsen ist.

Jeder Mensch geht mit der Brutalität unserer Existenz anders um, trägt seine Last, wie er oder sie kann. Menschen leiden und schaffen es idealerweise, ihre Traumas zu bewältigen. Aber wenn nicht? Menschen reagieren unterschiedlich auf Dinge. Sie will niemanden mehr dafür bewerten, zu welcher Lösung er gekommen ist. Sie will keine Meinungen (anderer) mehr ändern. Sie will sich nur verbinden.

Jung unterscheidet in seinem roten Buch zwischen dem Geist der Zeit und dem Geist der Tiefe (bei Gelegenheit deutsche Originalformulierung finden). Der Geist der Zeit ist das, was sich an der Oberfläche befindet, was uns täglich auf Trab hält: unsere Pflichten, unsere Ziele etc. Der Geist der Tiefe hingegen ist der uralte Teil von uns, der keinen Sinn ergibt und in Symbolen spricht. Unsere Verrücktheit, unsere Träume, unsere Visionen. Der Geist der Tiefe bleibt unbefriedigt, wenn wir nur die Dinge erlangen, die der Geist der Zeit anstrebt, von denen man uns gesagt hat, dass es darauf im Leben ankommt. Es braucht eine innere Balance zwischen den beiden. Heutzutage, in unserer Kultur, haben wir uns fast ausschließlich den Dingen des Zeitgeistes zugewandt. Um die Balance wieder herzustellen, müssen wir uns nach innen wenden. Das beginnt mit Verbindung und Kreativität.

Wir sind empathische Wesen, die füreinander empfinden. Wir sind als Spezies erfolgreich, weil wir uns der Bedürfnisse anderer bewusst sind, die Schmerzen anderer wahrnehmen können.

Geschichten und Lieder dienen uns dazu, uns mit anderen zu verbinden, ihre Erfahrungen zu verstehen und Mitgefühl zu empfinden. Aber sie existieren nicht im Vakuum. Eine Geschichte kann nicht einfach nur erdacht werden, sie muss erzählt/vorgelesen werden, ein Song muss gehört werden, damit sie wirken.

Wörter auf Papier sind nicht vollständig. Das Gedicht, der Roman oder der Aufsatz sind erst fertig, wenn mit ihnen interagiert wird. Verbindung ist kollaborativ. Damit Wörter eine Bedeutung bekommen, müssen sie gelesen werden.

Es ist verdammt einfach, die Ungerechtigkeiten in der Welt zu erkennen und anzuprangern. Aber was ist mit den Ungerechtigkeiten in unserem eigenen Haushalt?

Wenn wir das nächste Mal einen Fremden verurteilen, der mich verletzt, können wir ihn stattdessen als das sehen, was er ist: ein mangelbehafteter und komplexer Mensch? Mit einem gebrochenen Herzen, Verlust, Ambitionen und Enttäuschungen? Und das nächste Mal, wenn einer meiner Liebsten meine Gefühle verletzt, kann ich dann dasselbe tun? Sie als Hauptfiguren in ihrer eigenen Geschichte sehen, anstatt als Statisten in meiner?

Online können wir die Erfahrung nicht machen, die in einem Raum in der Offline-Welt bei einer Performance passiert (dass sich die Menschen im Raum verbinden, egal, wer sie sind). Das Internet ermöglicht es Gleichgesinnten, sich zu finden, und das ist sehr wichtig. Aber es macht es nicht Gleichgesinnten schwer, miteinander ohne hochgezogene Mauern in Kontakt zu kommen. Die Vorstellung einer feindlichen Bande „anderer“ auf der gegenüberliegenden Seite des digitalen Hügels – woke gegen nicht-woke, Deep-State-Verschwörungsanhänger gegen Mainstream-News-Konsument oder andere Wir-gegen-sie-ismen – schadet unserer Fähigkeit, füreinander Empathie zu empfinden.

Das Internet wird mehr und mehr zu einem Ort, an dem wir uns vergewissern, zu welchem Stamm wir gehören, und wo wir die verdächtigen, die uns widersprechen.

Wir wollen uns beweisen. Anstatt nach innen zu schauen und uns mit den dort bestehenden Mängeln zu befassen, schmücken wir uns mit dem, was der Tag uns bringt. Tempest zählt auf, was sie alles gejagt hat: Anerkennung, Plattenvertrag, Geld, Ruhm. Aber was bringt das alles, wenn man sich selbst nicht aushalten kann, sich in seiner Haut nicht wohlfühlt und verzweifelt sich selbst zerstört?

Wenn Du es zulässt, dass Bestätigung dich definiert, musst du hinnehmen, dass es Ablehnung dich definiert, wenn sie kommt.

Man ist schon lange ein echter Künstler, bevor man Geld verdient. Man muss nicht davon leben können, um Künstler zu sein. Wenn wir so denken, ist das nur Ausdruck davon, dass heute alles einen Nutzen und Wert haben muss.

Wir müssen uns nicht daran messen, was andere über unsere Produktion („Output“) denken. Und noch wichtiger: Wir müssen uns nicht an den Erfolgen anderer messen.

Wie finden wir ohne die Bestätigung von außen heraus, ob wir besser geworden sind? Der kreative Instinkt hat uns als erstes dazu bewegt, in unserem Feld anzufangen, und wenn wir mit ihm in Verbindung sind, wird er uns alles darüber sagen, wo wir mit unserer Arbeit stehen. Er wird uns durch schwierige kreative Situationen lotsen und uns helfen, den Unterschied zu erkennen, ob wir wegen der Suche nach Bestätigung motiviert sind oder aus einem authentischen kreativen Drang.

Die Einflüsse, auf die wir uns beziehen, müssen keiner Akademie oder Institution gefallen, oder einer Bewegung oder einem Genre entsprechen. Höre alles. Lies alles. Bleib aufmerksam und präsent gegenüber allem, dem du begegnest. Selbst, wenn es Dir nicht gefällt. Frag Dich, warum nicht? Welche künstlerischen Entscheidungen wurden getroffen, denen Du nicht zustimmst? Wenn Du Autor sein willst, lies andere Autoren. Nicht deine toten Helden, sondern aktuelle, fehlbare Autoren, die Deine Eifersucht und Verachtung wecken.

Es gibt keinen Erfolg beim Schreiben. Nur besseres Scheitern. Schreiben ist Scheitern. Eine Idee ist eine perfekte Sache. Sie erreicht den Autor in einem atemlosen Traum. Und wir haben unsere Kunst ein Leben lang verfeinert, um diese Idee in die Welt zu bringen, durch unsere nutzlosen Hände, aufs Papier. Aber es wird nie richtig sein. Autoren müssen damit leben, dass das Ergebnis nie dem entsprechen wird, was die Idee eigentlich war, weil ihre Fähigkeiten beschränkt sind. Arbeit fertigzustellen ist das, was einen Künstler bescheiden macht. Viele Menschen haben Ideen. Aber den Schmerz auszuhalten, eine Idee fertigzustellen und zu bemerken, wie unfähig man ist, trotz unserer Überzeugung, unserer Kreativität, unserem Üben und Talent. Wir sind trotzdem gescheitert. Aber wir haben es versucht. Das Ding ist draußen. Nächstes Mal machen wir es vielleicht besser.

Der Unterschied zwischen einem Künstler und jemandem, der davon träumt, ein Künstler zu sein, sind fertiggestellte Arbeiten. Es gibt Menschen mit tollen Ideen, die anderer Leute Arbeit als schlechter bewerten als das, was sie erzeugen könnten, es aber nie gewagt haben, irgendetwas fertigzustellen: Das ist der große Irrtum künstlerischer Arbeit. Jeder ist sich so sicher, dass er oder sie es auch könnte; außer den Menschen, die es tatsächlich tun. Die wissen, wie beschränkt sie sind, aber sie müssen die Arbeit trotzdem tun.

Wenn ich Verbindung am meisten brauche, verlässt sie mich. Ich fühle mich verloren, mache dummes Zeug, verliere die Kontrolle über meine Gefühle. Und dann, wenn ich denke, ich habe sie für immer verloren, kommt sie wieder. Aus dem Nichts, als wäre sie nie weggewesen. Dann fühle ich mich wieder wie ich selbst. Es ist, als dürfte ich erst keine Erwartungen mehr haben, damit sie zurückkommt.