Ich bin vor kurzem 36 geworden. Wenn ich mich mit den meisten Leuten vergleiche, denen ich in Hostels begegnet bin, und auch den meisten der Reise- und Sonstwas-Blogger, dann bin ich eher älter. Ich denke oft über mein Alter nach und vergleiche mich mein ganzes Leben schon mit Gleichaltrigen. Meistens mit Gleichaltrigen, die aus der Masse hervorstechen, besonders erfolgreich oder sogar prominent sind. So habe ich als 17-jähriger die ersten Gleichaltrigen in der Fußball-Bundesliga gesehen, dann waren die gleichaltrigen irgendwann Fußball-Superstars und jetzt beenden Gleichaltrige ihre Karriere.
Gleichaltrige sind jetzt schon erfahrene Politiker. Irgendwann werden sie Bundeskanzler sein. Gleichaltrige oder sogar Jüngere gründen gerade Start-Ups – bald werden sie Milliardäre und Vorstandsvorsitzende sein (oder sind es schon). Gleichaltrige bringen gerade nicht ihr erstes, sondern ihr drittes Buch heraus. Gleichaltrige machen seit 15 Jahren Filme. Gleichaltrige haben Häuser, Autos, Frauen und Kinder. Gleichaltrige sind Rockstars.
Kurz: Es gibt viele Gleichaltrige, die Dinge machen, von denen ich als jüngerer Mensch gedacht habe: Wenn ich mal groß bin, dann mache ich das. Und es gibt Gleichaltrige, die Dinge geschafft haben, die ich auch möchte, von denen ich aber nicht weiß, wann ich da hin kommen werde. Genau so wird es ältere Menschen geben, die mein Leben sehen und mich genauso betrachten: Als jemand, der etwas schon erreicht hat, was sie (noch) nicht haben.
Was mache ich jetzt damit? Wann ist man eigentlich zu alt? Die klassische Karriereberatung hat immer klare Regeln: Bis 25 Uni-Abschluss, bis 30 darfst du lernen, blabla. Wenn jemand sein eigenes Ding jenseits der Norm macht, schwingt die Frage oft mit: "Ist ja ganz nett, aber ist er dafür nicht zu alt?" Ich selbst frage mich das auch öfter. Bin ich zu alt, alles zu verkaufen und vagabundenartig um die Welt zu reisen? Bin ich zu alt, um so wenig zu verdienen? Und so weiter.
Der Dienstälteste
Was ich dann als erstes mache, um diese innere Stimme ("the inner chatterbox", wie Susan Jeffers das in ihrem Buch "Feel the fear and do it anyway" nennt) zum Schweigen zu bringen, ist, das Konzept des "Dienstältesten" ins Spiel zu bringen. Wenn ich etwas neu anfange, dann bin ich weniger erfahren und habe weniger vorzuweisen, als jemand, der eine Sache schon ein paar Jahre macht – egal, ob ich zehn Jahre älter bin. Und je älter man wird und es etwas neues anfängt, desto mehr Dienstälteren (die in Jahren gemessen jünger sind) wird man begegnen. Wenn man für Dinge zu alt sein könnte, dann würde das logisch bedeuten, dass man irgendwann im Leben nichts neues mehr anfangen kann. Was ist das bitte für eine Perspektive?
Es geht nicht ums Alter
Und es kann sogar sein, dass jemand einfach schneller, besser und talentierter ist als ich, egal, wie alt. Es geht also eigentlich gar nicht ums Alter, sondern darum, sich mit anderen zu vergleichen. Als jüngerer Mensch hatte ich oft größenwahnsinnige Fantasien, was ich alles einmal machen und können werde. Von den Massen begeisterter (weiblicher) Fans, die mir zujubeln werden. Und ich habe nichts dafür getan, dort hin zu kommen.
Entscheidend ist: Dass andere schon auf dem Gipfel sind, sollte kein Grund sein, den Berg nicht zu besteigen. Heute sind meine Fantasien viel bescheidener, aber ich mache mehr. Und steigere damit die Wahrscheinlichkeit, meine alten Fantasien zu verwirklichen, obwohl sie nicht mehr wichtig sind. Wenn ich etwas machen möchte und eine Idee davon habe, wie ich dort hin komme, dann ist es egal, wie viele Menschen vor mir da waren. Und das Alter spielt tatsächlich keine Rolle. Ich sollte nur nicht in Neid oder Resignation verfallen, dass jemand anderes (ein jüngerer!) etwas hat, was ich haben möchte. Ich kann ihn als Inspiration nehmen, dass diese Sache möglich ist. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Herr Messi kann sich entspannen
Ich behaupte übrigens nicht, dass das Alter oder auch mein Grad an Talent und Erfahrung keine Rolle spielen. Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich noch Weltfußballer des Jahres werde (da hat Herr Messi aber echt Schwein gehabt). Ich werde wahrscheinlich nicht mal mehr Weltmeister in einer Sache, in der ich schon sehr gut bin, nämlich Billard spielen. Seit ich das akzeptiert und dieser Tatsache zugestimmt habe, spiele ich aber viel inspirierter, trainiere mehr und bin besser als je zuvor. Und vielleicht werde ich ja noch Senioren-Weltmeister...
Fazit: Mich mit anderen zu vergleichen ist eine merkwürdige, aber sehr starke Angewohnheit, die ich nicht von heute auf morgen ablegen kann. Aber wenn diese Gedanken kommen, sage ich heute: "Vielen Dank für diesen Gedanken, ich mache es trotzdem." Denn etwas lernen und gut in einer Sache werden, kann man immer.
Ach übrigens, wenn einige ältere Leser denken: "Macht der Junge sich in dem Alter schon solche Gedanken?", dann antworte ich: Ja, macht er.
Hier schreibe ich sonst immer Fragen zum Thema rein, weil alle Blogratgeber sagen, dass das die Interaktion erhöht und man dann ganz viele Kommentare bekommt. Jetzt frage ich mal nichts. Kommentieren kannst du trotzdem.
Ich glaube nicht, dass man zu alt für etwas ist. Aber ich denke, dass es mit zunehmendem Alter schwerer wird, sich selber radikal neu zu entwerfen. Nicht, weil man es selber nicht mehr könnte. Sondern weil eben viele andere denken, dass man bereits zu alt ist und einem keine Chance mehr geben.
Interessanter Gedanke. Ich denke, die Frage ist hier, wer dich radikal neu entwirft. Du selbst kannst das für dich natürlich immer tun und bist dabei nicht von anderen abhängig. Allerdings haben andere immer die Wahl, wie sie mit deinem neuen Angebot umgehen wollen. Das ist ja deren gutes Recht. Also: Neu erfinden ja, aber jenseits von allen Realitäten oder Einstellungen anderer – das geht auch nicht, wenn man jung ist.
Für mich bist du jemand, der schon einiges erreicht hat, was ich selbst noch gern erreichen möchte – nämlich ortsunabhängig leben können, selbstständig sein, reisen können und den ganzen Krempel loswerden, den man eh nicht mehr braucht… 🙂 aber hey, ich hab auch schon dinge erreicht, von denen andere vielleicht noch träumen und mach mir trotzdem Gedanken. Ist aber auch was Positives, wenn man nie aufhört, von etwas zu träumen bzw. nach etwas zu streben. 🙂
Hi Yuki, danke für deinen Kommentar und für die Anerkennung. Du hast völlig recht: Man sollte sich darüber freuen, was man jetzt hat, und trotzdem schauen, wo man noch hinkönnte.
Ich finde Alter hat überhaupt keine Bedeutung, denn niemand kennt den Zeitpunkt, wann der Einzelne sterben wird. So bin ich mit 22 noch sehr jung, doch wenn ich schon in 10 Jahren sterbe und die Zeit bis dahin ncht voll und ganz ausgeschöpft habe, bringt mir mein junges Alter wenig. Dann hätte ich mit 22 schon die Hälfte meines Lebens verbracht.
Genauso gilt es für dich, du denkst vielleicht für einige Dinge bist du zu alt, doch wenn du noch 60 Jahre hier auf der Erde geniale Dinge erleben und kreiieren kannst, bist du noch verdammt jung und knackig.
Fazit: egal zu welcher Altersgruppe man gehört, man sollte jeden Tag nutzen, um die Dinge zu machen die man liebt.
A la Steve Jobs quote: „Remembering that I’ll be dead soon is the most important tool I’ve ever encountered to help me make the big choices in life. Because almost everything – all external expectations, all pride, all fear of embarrassment or failure – these things just fall away in the face of death, leaving only what is truly important.“
Tina, danke fürs knackig 🙂 Ich stimme dir vollkommen zu, es ist auch alles relativ zum gesamten Leben zu sehen und wir wissen sowieso nicht, wie lange wir haben. Den Gedanken von Steve Jobs habe ich auch schon mal gehört, das muss ein starker Antrieb für ihn gewesen sein.
Danke für Deine Betrachtungen. Auch ich habe mich als 35-jähriger in den letzten Jahren mit dem Thema gedanklich auseinandergesetzt. Für mich war die Grunderkenntnis, wie man den Frame setzt: Ist das Leben ein Wettkampf, bei dem man es darum geht, im Vergleich zu seiner Peer-Group möglichst viel Geld, beruflichen Erfolg, weibliche Eroberungen oder Kinder zu haben? Oder ist das Leben ein Geschenk, bei dem es darum geht zu versuchen, an jedem Abend glücklich und zufrieden einzuschlafen, weil die Dinge, die man am Tag gemacht hat, Freude bereitet haben und sinnstiftend waren. Und, hurra, morgen ist schon der nächste Tag.
Hurra, Matthias! Danke für deinen Kommentar. Du hast völlig recht, es kommt immer darauf an, wie man die Dinge sieht. Mir geht es so, dass ich an Tagen, an denen ich das Gefühl habe, keine große Freude und wenig Sinnstiftendes gemacht habe, am ehesten anfällig bin für solche Vergleichsgedanken. Ich vermute, die Lösung ist, jeden Tag Freude und Sinn in den Tag einzubauen. Die ganz große Kunst ist dann wahrscheinlich, bei allem Sinn und Freude zu empfinden.
Mit meinen 33 kenne ich diese Gedanken auch. Aber zum Glück bin ich viel lockerer geworden. Denn mit 33 liegt ja auch schon was hinter einem, man hat schon was geschafft, was gelernt, was erreicht. Das gibt Sicherheit und Gelassenheit. Und gerade diese Gelassenheit empfinde ich als sehr angenehm, vor allem in der Musik. (Dort bin ich auch kein Rockstar und Jüngere hauen mich bei ihren Konzerten um, aber ich bin trotzdem besser als je zuvor.)
Wobei „was erreicht“ sich nicht auf Sportwagen und „vorzeigbare“ PartnerInnen bezieht. Sondern im Sinne von: Eine Anstrengung unternommen und dabei Früchte geerntet. Die Vergleicherei ist normal, ich glaube Menschen sind einfach so. Aber sie bringt uns oft nicht weiter, denn es gibt immer einen „Besseren“, einen mit mehr Geld, mehr Untergebenen, schönerer Frau, dickerem Auto, was auch immer. Dabei sind all das Maßstäbe für Erfolg, die vorgegeben sind. Um die Sache an sich geht es ja dabei selten. Niemand fragt, was jemand täglich dafür tun (also geben, hergeben und aufgeben) muss, um einen Sportwagen kaufen zu können. Das Glück liegt doch eher in dem was man tut, als in dem was man hat. Was, wenn die Erfolgstrostpflaster das erwirtschaftete Unglück nicht mehr aufwiegen können?
Was mir schon einige erzählt haben: Man lernt mit zunehmendem Alter nicht mehr ganz so schnell, dafür aber um einiges zielstrebiger. Meine persönliche Hypothese ist, dass man einfach mehr Erfahrung hat, mit der man Dinge verknüpfen kann – das braucht Zeit. Aber genau diese Erfahrung führt auch zu mehr Zielstrebigkeit.
Zu alt ist man nie. Ich kenne Leute, die mit 65 noch eine Fremdsprache erlernt haben. Man ist nicht mal für die Liebe zu alt. (Nur wird es halt nicht einfacher, wenn die Singles immer weniger werden.)
Ach – Alter hat mal überhaupt nichts zu melden. Meine Ex-Freundin hat gerade mit 29 nochmal angefangen zu studieren und hüpft und feiert herum als wäre sie 18 😉
Alter ist einfach total egal – und oft frage ich Leute auch gar nicht mehr nach dem Alter. Wer sagt, dass ich mit 23 schon das und das gemacht haben sollte? Ein anderer hat schon mit 21 ne Firma gegründet, verkauft usw. – coole Sache. Davon lasse ich mich inspirieren – aber wenn ich mich zu sehr vergleiche, dann setzt mich das nur unter Druck. Genau so geht es mir mit dem Alter. Der schlimmste Satz überhaupt:
„Komm Du mal in mein Alter.“ – den könnte man eig direkt verbannen…
100% Zustimmung, Ben!
Hi Patrick!
Ich bin irgendwie auf dich und diesen Artikel gestossen. ,,Wann ist man eigentlich zu alt? Und ist das überhaupt die richtige Frage?“ Also fing ich an zu lesen und musste immer wieder schmunzeln, wie abhängig man doch sein Leben von der Meinung anderer Menschen macht oder schaut wie andere Leben. Man hat nur das ,,Eine Leben“ und damit sollte man machen und tun können was man möchte und es so leben, wie man es für richtig hält. Die Erfahrungen die man auf dem Weg des Lebens macht, die prägen dich, verändern dich. Denn heute bist du nicht mehr der Mensch, der du gestern warst. Das was du gestern erlebt, getan, gelesen oder auch nur gehört hast, diese Erfahrungen haben dein Denken und Tun schon verändert. Jeder Mensch ist ein Unikat, ein einzigartiger Mensch, den es nur einmal so auf der Welt gibt, mit all seinen Stärken und Schwächen. Jeder ist sein eigener Navigator mit einem Steuerrad fürs Leben. Und es liegt an einem selbst, in welche Richtung man lenkt, ob man zurück oder vorwärts fährt, abbiegt, irgendwo parkt, auf Tauchgang geht, langsam oder schnell fährt.Und ich denke man ist für gar nichts zu alt. Man sollte sich nur trauen und den Mut haben auch mal einen anderen Weg einzuschlagen, abzubiegen und neue Wege finden. Das Leben kann so viele Überraschungen bereit stellen, man muss sie nur für sich finden oder danach greifen. Und du hast auch danach gegriffen, einen anderen Weg eingeschlagen, einen der dich glücklich macht. Dazu möchte ich dir gratulieren, denn ich finde es klasse. Liebe Grüße Sylvy
Hi Sylvy, danke für Deine netten Worte! Ich sehe Kommentare immer erst ein bisschen spät, daher die späte Antwort. Ich stimme Dir in allen Punkten zu, zu diesen Schlüssen komme ich auch immer wieder. Aber „schwache“ oder besser gesagt nachdenkliche Momente gibt es immer wieder, und dann entsteht solch ein Artikel. Viele Grüße!